Assietta Kammstraße

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Regen trommelt unablässig am Morgen auf die Zeltplane. Vom heißen heimischen Hochsommer bleibt über Nacht kein Sonnenstrahl mehr übrig. Eine Wolkenlücke lässt uns voller Tatendrang zur ersten Erkundungsfahrt aufbrechen. Gemeinsam begeben sich Carsten, Frank und ich in den Höhenrausch und leisten meiner Frau Tina Offroadschützenhilfe. Als Enduroneuling möchte sie die einfachen Strecken und deren wahnsinnig schönen Landschaften auch mit genießen. Zum Eingewöhnen an den losen Untergrund wird zunächst eine eher anspruchslose Route ausgewählt. Rechter Hand rauscht das Forte di Exilles vorbei. Majestätisch thront diese Straßenfestung auf einem Bergsporn inmitten des Tals. Sie zählt zu den ältesten Bauten im Susatal und wurde erstmals im Jahre 1155 erwähnt. In Susa angekommen, rollen wir durch die Hinterhöfe der Stadt und finden auf Anhieb den Einstieg zur Piste. Vorerst noch auf Asphalt, schraubt sich die einspurige Straße kehrenreich bergauf durch Weiler und an Brunnen vorbei. Auch die Wolkendecke umhüllt uns nun endgültig und hinterlässt an den Aussichtspunkten nur ein undurchsichtiges Weiß. Langsam tasten wir uns immer höher und erreichen auf der alten Militärstraße das Rifugio La Riposa. Auf kühlen 2.205 Höhenmetern wird wärmender Kaffee wahrlich mit jedem Schluck genossen. Die Wolken reißen endlich auf und lassen die erste Fernsicht auf die Bergwelt zu. Da es sich um eine Stichstraße handelt, können wir das Bergpanorama auf der Rücktour nun ein wenig genießen. Vorbei an Lichtungen und fein zurecht gemachten Ferienhäusern liegt uns dann der Ort Mompantero mit einem Viadukt zu Füßen. Weit reicht der Blick in das Tal Salbertrand und wird von den Bergen und Wolken eingefasst.
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Der nächste Morgen wartet im Tal mit strahlend blauem Himmel auf. Es gibt kein Halten mehr! Im nu sind die Anlasser betätigt und unsere Motoren brabbeln gemeinschaftlich eine Sinfonie der vier Takte. Der Colle del Collombardo ruft und wird zum Dirigenten der Motorräder. Da die Kammpassage oft im Nebel versinkt, steigt die Hoffnung auf unendliche Fernsicht und lässt uns auf asphaltierten Straßen schnell dem Kreisverkehr bei Condove entgegen fliegen. Weit oben thront eine Burg über dem Tal und weist schon von weitem den Weg. Eng schmiegt sich die Straße gleich hinter Condove in den Hang und gewinnt mit unzähligen Windungen immer weiter an Höhe. Hinter dem kleinen Örtchen Mocchie weisen unscheinbare hölzerne Hinweisschilder den richtigen Weg in Richtung des Schotterspaßes. Schmale, enge Kehren steigen durch den Wald immer höher bergan. Kleinen Weilern schenken wir keine Beachtung und lassen sie links liegen. Voller Vorfreude wird beherzt am rechten Lenkerende gedreht. Die Erwartungshaltung ist groß. Die Strecke zählt zu den landschaftlich schönsten Etappen der Region. Der Wald lichtet sich hinter Pralo del Rio und gibt die ersten Blicke auf die imposante Bergwelt frei. Teer und Schotter wechseln sich nun ständig ab und der lose Belag gewinnt letztendlich Oberhand. Steil ragen die kahlen Felswände in den tiefblauen Himmel. Einer Treppe gleich steigt die Kehrenpassage stetig hinauf. Ganz tief im Tal sind sogar die Seen von Avigliana zu sichten. Sich auf die Strecke zu konzentrieren fällt zusehends schwerer. Hinter jeder Kurve trumpft Mutter Natur mit neuen Ausblicken auf und geizt so gar nicht mit ihren Reizen. In einem weiten Bogen spannt sich die Strada Comunale Colle dell Alpe um eine markante Felswand. Zerfallene Behausungen und unzählige Kühe zieren die Berghänge und stehen kampfbereit am Wegesrand, um ihr Revier zu verteidigen. Linker Hand lädt eine Panoramasäule zum Stopp ein und bietet eine phänomenale Aussicht auf die Gipfel und Täler. Sich hier loszusagen, fällt schwer. Jedoch lockt auch schon wieder die nächste Kehre. Ein aufgeschichteter Steinhügel weist den Weg und bietet das nächste grandiose Panorama der einsamen Bergwelt, das von wunderschönen Wolken eingefasst wird. Die folgende Strecke tastet sich an zwei Hügeln immer weiter am Hang entlang. Auf 1898 Höhenmetern zeigt die Kapelle Madonna degli Angeli weithin an, dass der Colle del Collombardo erreicht wird. Am Kreuz bestaunen wir die Aussicht während einer Vesperpause bei schönstem Wetter.
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Die Aussicht auf die nächste Panoramastraße kann hier oben niemand von der Hand weisen. Daher fällt es nicht schwer, diesen wunderschönen Flecken Erde zu verlassen und sich auf den nächsten Fahrspaß zu freuen. Schottrig und kehrenreich führt die Piste entlang steiler Berghänge talwärts. Die Reifen greifen wieder auf festem Belag. So stürmen wir dem nächsten Ziel entgegen. In Susa wird kurz vollgetankt, um gleich darauf Meana di Susa zu durchrollen. Anschließend beginnt ein Kehrenspaß vom allerfeinsten! Langsam beginnt der Tanz auf Asphalt in die Höhe. Die letzten Gänge in der Schaltbox haben eine gefühlte Ewigkeit Pause. Ein Wechselspiel aus Licht und Schatten fliegt im Wald vorbei. Ich zähle einunddreißig Kehren, die uns die Höhe erklimmen lassen. Die letzte Biegung auf befestigtem Boden gibt dann die erste Aussicht frei und lässt die Schotterschicht beginnen. Im weiten Bogen spannt das Schild „Strada del Colle delle Finestre“ über die Piste und gibt den Startschuss für das nächste Abenteuer. Durch einen Wald geht es immer weiter bergan. Die ersten freien Blicke eröffnen das nächste Spektakel. Ungezählte Traumkehren katapultieren uns auf 2.176 Höhenmeter und wir sind alle einer Meinung: Der Berg muss für Enduristen von Motorradfahrern erschaffen worden sein!
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Zu Fuß kann von hier aus das gleichnamige Fort Finestre besichtigt werden. Die Sonne nähert sich jedoch unaufhaltsam den Berggipfeln und mahnt zum Aufbruch. Wer es eilig, hat kann nun auf Asphalt der Zivilisation entgegen fahren. Da mein langgehegtes Ziel jedoch zum Greifen nah ist, wird der Blinker nach ein paar Asphaltkehren mit Bestimmtheit auf Rechts gesetzt. Die Assietta Kammstraße mit 36 Kilometern feinstem Schotter liegt endlich vor dem Lenker und frohlockt mit Natur Pur! Die Schatten der Abendsonne werden immer länger. Wir müssen schnell an Höhe gewinnen. Die Szenerie lässt den Blick magnetisch hypnotisierend immer wieder von der Piste abschweifen. Auf schottrige Anstiege, steile, kahle Berghänge mit schmalen Wegen am alpinen Abgrund und sanften Hügeln im goldgelben Abendlicht gleitet der Blick zurück. Im Rallyetempo erreichen wir das nächste Gipfelglück. Ein großes braunes Schild verkündet es großzügig: „Colle dell´Assietta 2472m“. Die Panoramen sind überwältigend! Im Abendlicht stürmen wir weiter. Die Sonne verschwindet hinter unzähligen Gipfeln und taucht die Kulisse in ein magisches Licht. Im letzten Tageslicht erreichen wir den bestens ausgestatteten Campingplatz Gran Bosco. Gemeinsam lassen wir den grandiosen Tag Revue passieren und schlemmen sichtlich zufrieden italienischer Pizza und Hauswein.
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Colle Sommeiller. Ein Name, der den Hauch des Mythos umweht. Nachdem der Mont Chaberton nicht mehr befahrbar ist, stellt der Col de Sommeiller nun den höchsten motorisiert legal befahrbaren Berg der Alpen dar. Ein äußerst lohnendes Ziel, das jeder Endurist einmal im Leben unter die Stollen nehmen muss! Um diesen zu erreichen, fahren wir über Bardonecchia auf immer schmaler werdenden Asphaltstraßen nach Rochemolles. Gleich danach wird es staubig und die Piste empfängt uns mit einer Passage aus sechs steilen Kehren, um anschließend eben weiter zu verlaufen. Den Stausee Lac di Rochemolles lassen wir links liegen, da dieser im heißen Sommer ohnehin schon viel von seinem türkisblauen Wasser verloren hat. Ein Rastplatz am Zufluss des Stausees lädt zum Verweilen ein und wird anschließend über die Natursteinbrücke passiert. Die Straße macht nun einige Schlenker und auch die Vegetation ändert sich zusehends, da wir die Baumgrenze erreicht haben. Eine karge, steinige Landschaft saugt uns auf. Auf gut befahrbarer Piste gelangen wir zur bewirtschafteten Schutzhütte Rifugio Scarfiotti. Wunderschön in einem gigantischen Talkessel eingebettet findet hier am zweiten Julisonntag das höchst gelegene Motorradtreffen Europas statt. Der Brite Harry W. Lois gilt als Begründer der Stella Alpina. Gemeinsam mit dem Enduro- und Trialfahrer Mario Artusio entstand die Idee eines internationalen Treffens. War die erste Zusammenkunft 1966 eher eine gemeinsame Ausfahrt zum Stilfser Joch, fand es bereits im Jahre 1967 zum ersten Mal in diesem imposanten Hochtal statt. Heute zählt das Treffen jedes Jahr ca. 1000 registrierte Teilnehmer. Genau wie wir wollen sie alle hoch hinaus. Sanft führt die immer rauer werdende Piste vorerst bergan und erste Kehren müssen gemeistert werden. Direkt daneben stürzt sich ein Wasserfall in die Tiefe. Sechszehn enge Kurven befördern uns schlagartig in die Höhe und fesseln den Blick. Die Wahl fällt schwer. Die Baukunst der Streckenführung bewundern oder doch eher den gigantischen Talkessel bestaunen?

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Über diese Gedanken wird bereits der Vorhang zur Hochebene Pian dei Morti geöffnet. Ein Tal, wie von einem anderen Stern, lässt keine Zeit zum Staunen. Schon laden die nächsten vier zackigen Richtungswechsel ein und befördern in das nächste Universum des Planeten Erde. Das nun folgende Hochtal wird herzhaft durchstaubt und der Untergrund wird immer steiniger. Der Himmel wechselt mit jedem Höhenmeter seine Farbe und wird tiefblau, fast schwarz. An einem markanten Bergmassiv schlängelt sich die schmale Straße am steilen Abhang immer höher über eine grobe Geröllpiste. Grob geschottert führt sie am steilen Abhang stetig höher. Enge Kurven lassen den Lenkanschlag der BMW manches Mal stöhnen. Ein paar beherzte Gasstöße retten so über einige große Felsbrocken hinweg und stabilisieren das Motorrad. Nach fünfzehn Kehren erreichen wir endlich unser Ziel. Die Freude ist riesig und so schreien wir es laut heraus, damit der Wind die Rufe in die Einsamkeit hinaustragen kann. Wir stehen auf dem Col de Sommeiller und blicken auf die irre Bergwelt rundherum. Schneegipfel leuchten in der Ferne. Nebel verfängt sich zwischen den unzähligen Gipfeln, verschwindet wieder und schiebt sich durch die nächste Zackenlücke in ein anderes Tal. Auf der Hochebene spiegelt sich ein Gletschersee in der Sonne. Ende August zeugen einige Schneereste immer noch vom langen, harten Winter. Mehrere Fahnenstangen kennzeichnen die 3.050 Meter Marke. Die Anfangseuphorie schwindet. Jeder hängt nun seinen Gedanken nach. Unzählige Minuten verrinnen. Die Atmosphäre saugt jeder tief in sich auf, um dann wehmütig den Anlasserknopf zu betätigen. Dass diese Auffahrt eine Sackgasse ist, stört bei dieser Aussicht niemanden. Obendrein versüßt die Streckenführung den ganz großen Motorradspaß. Genussvoll durchsausen wir den bekannten Weg, um beim Rifugio einen wohlverdienten italienischen Kaffee zu schlürfen. Verdammt heiß sind auch die Eindrücke der hochalpinen Strecke. Was ist das für ein Berg! Gefühlte fünfzig anspruchsvolle Kehren, teilweise an sehr steilen Hängen verteilt, mit atemberaubenden Landschaften präsentieren sich auf mehr als zwanzig Kilometer Schotterspaß! Dass genau genommen die Bergstation des Bontadini-Lifts in der Nähe von Cervina zum höchsten anfahrbaren Punkt der Alpen gehört, wird hier ganz zur Nebensache. Dieser ist ohnehin nur zu bestimmten Veranstaltungen für den Verkehr freigegeben. Viel zu tief sitzt der geglückte Gipfelsturm bei allerbestem Wetter. Irgendwann müssen wir uns jedoch von dieser herzzerreißenden Hochgebirgsszenerie auf neuen Wegen verabschieden. Die Strecke wird zusehends schmaler, bis ein tiefer Graben endgültig den Weg versperrt. Dieses Unterfangen erscheint uns mit unseren GS-Schwergewichten zu riskant. Erfolglos treten wir wieder den Rückzug an. Nun brausen wir die bekannte Strecke retour, lassen die Ortschaft Rochemolles rechts liegen und rollen auf befestigten Wegen dem nächsten Offroadglück entgegen.
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Bardoneccia weist mit seinem Skilift den Eingang zum neuen alpinen Abenteuer. Direkt am Parkplatz verschwinden wir in die Büsche. Bedenken nagen insgeheim. Sind wir auf dem richtigen Weg? Das schaut eher nach einem Wanderweg aus! Ein Verbotsschild war aber nicht zu entdecken. So fahren wir einfach weiter. Endlich stoßen noch andere Wege dazu und lassen die Zweifel verfliegen. Durch einen Tannenwald schraubt sich die schattige Waldauffahrt mittels vielen engen, lehmigen Kehren bergan. An der Bar Punta Colomion gibt es auf 2054 Höhenmeter eine letzte Rast, und wir bewundern den Ausblick. Ab hier geht es nun derber zu. Warnungen wie „ Das ist nichts für GS & Co., fahr auf keinen Fall weiter!“ kommen mir in den Sinn. Auch Frank spricht mahnende Worte aus. Er kennt den Pass und gibt die letzten Sicherheitstipps mit auf den Weg zum Passo della Mulattiera. Schon die ersten Meter zeigen an, dass dieser Weg den Namen Maultierpfad nicht zu Unrecht trägt. Holperig und schmal heißt uns der Weg durch den Nadelwald willkommen. Von der ehemals mit Natursteinen gepflasterten Strecke bleibt nur noch ein kleines Stück intakten Belags übrig. Dieser rüttelt dermaßen am Lenker, dass doch lieber die Flucht auf den Seitenstreifen am steilen Abgrund angetreten wird. Bloß nicht ins Straucheln kommen, immer am Gas bleiben und nicht nach unten sehen. So erreichen wir endlich das Ende dieser Gratwanderung. Die weitere Piste wird mit grobem, losem Schotter garniert und führt stetig am Hang entlang. Einige Auswaschungen sind mit Holzpfählen gut ausgebessert, andere wurden so ausgespült, dass sie nur mit einem Anlieger am Hang durchfahren werden können. Der Wald lichtet sich und gibt ein umwerfendes Panorama frei. Noch einen Schlenker nach rechts und die nächste Aussicht lässt den Atem stocken! Eng schmiegt sich, kaum sichtbar, ein recht gut erhaltenes Militärgebäude aus dem zweiten Weltkrieg an den Hang und wird von steilen, zackigen Felswänden überragt. Weiter zieht sich die holperige Piste an der Ostflanke der Punta Mulattiera entlang. Fahren und Staunen wird ab hier zum Programm! Beides zugleich verträgt sich jedoch nicht! Darum stoppen wir kurz vor dem Ziel und genießen die tolle Umgebung. Vier Kehren lassen den nächsten Sprung in die Höhe zu. Die Piste wird zusehends enger wie auch anspruchsvoller und führt ab hier am steilen Hang entlang. Der Blick in die Tiefe mahnt zur Vorsicht. Nur keinen Fehler machen! Es wären hunderte Meter freier Fall! Anspruchsvoll führt der Singletrail nun geradlinig auf die Bunkeranlagen zu. Auch hier muss äußerst aufmerksam gefahren werden. Die Passage ist sehr schmal und ohne jegliche Randsicherung. Kleinere enge Stellen müssen zielgenau durchsteuert werden. Alte Felsstürze erzwingen ein kleines Auf und Ab auf der Geraden. Mit einer ebenen Parkfläche endet diese Schotterschicht. Rechter Hand geht eine geschätzte „einhundert Prozent Steigung“ noch einige Meter zum Passo Mulatiera hinauf. Dieses Stück sollte man jedoch erfahrenen Enduristen überlassen. Auch so manche Sportenduro schwächelt auf diesen letzten Metern. Unbemerkt schreitet Frank den Weg ab und nimmt diesen in Augenschein. Wie ein Lanz Bulldog zieht er mit seiner F800 GS kontinuierlich die letzte Passage hinauf und zeigt den Leichtathleten das Maß der Dinge. Wer es kann, der kanns! Auf 2.412 Meter über den Meeresspiegel wird genussvoll die Natur bestaunt. Steile Felswände küssen den tiefblauen Himmel und vereinzelte Schneefelder trotzen dem Sommer. Ein Anblick, der jedermann verstummen lässt. Unendlich viel Zeit verstreicht, aber wir müssen uns von diesem überwältigenden Flecken Erde verabschieden. So rollen wir auf unseren alten Spuren wieder zurück, folgen nun jedoch der windungsreichen, steilen Piste entlang der Seilbahn nach Bardonecchia hinab und erreichen staubig und ausgehungert den Campingplatz. Jeder möchte nach diesem erlebnisreichen Tag nur noch eins: Den Staub abduschen und zu Abend essen!
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Tief blauer Himmel am Colle di Sestriere verspricht Hoffnungsvolles. Ein absolutes Highlight unter den Panoramastraßen im Piemont muss noch einmal mit richtig viel Zeit im Gepäck unter die Stollen genommen werden. Eine leichte Gratwanderung, die auch jeder Großendurotreiber antreten kann. Sechsunddreißig Kilometer Schotterspaß ohne übermäßige, steile Steigungen über wunderschöne Höhenzüge hinweg hoch oben inmitten der faszinierenden Bergwelt sind Argumente, welche nicht von der Hand zu weisen sind. Daher folgen wir der SS23 und verlassen diese nach Sestriere nach links. Ein Eingansportal empfängt uns zur Strada dell`Assietta, die ab hier eine staubige Oberfläche aufweist. Mit einigen Kehren windet sich diese bergan und gibt die Sicht auf Sestriere frei. Unzählige Skihänge weisen auf regen Wintersport hin. Eine gut befahrbare Piste schmiegt sich eng an die kahlen Hänge bis eine Kuppe großes Staunen eröffnet. Daher muss erst einmal ein kurzer Abstecher auf ein kleines Aussichtsplateau sein. Recht früh wird die Vesperpause vor grandioser Kulisse eingeläutet. Das 180-Grad-Panorama auf die bizarre Landschaft scheint nicht von dieser Welt zu sein. Bergspitzen tauchen weit in den weiß blau marmorierten Himmel hinein. Tief reichen die Täler hinab, auf deren Wiesen blökend Schafe zufrieden weiden. Der Colle Basset kann gesichtet werden. Der weitere Streckenverlauf schaut von hier oben vielversprechend aus. Verläuft diese doch knapp unterhalb des Gipfels und verspricht vom Höhenzug aus die nächsten beeindruckenden Aussichten. Eine Spitzkehre muss durchfahren werden, schon befinden wir uns wieder auf der Panoramastraße. Dem Colle Basset schenken wir keine weitere Aufmerksamkeit und genießen im Schneckentempo einfach nur das Fahren und Staunen auf der bereits von oben gesichteten Wegführung. Einige Abstecher hier und dort laden zum Erkunden und Bummeln ein. Sanfte Hänge wechseln sich mit steinigen Felswänden ab und einige Schlammlöcher werden erreicht. Voller Elan werden diese Pfützen eher als willkommene Abwechslung durchbraust, denn eine Herausforderung stellen diese nicht dar. Die Vegetation wird üppiger und die Berge mit Tannen begrünt. Nun verläuft die Piste über einem Kammrücken und der Naturpark „Gran Bosco di Salbertrand“ beginnt. Die Bergwelt wird zusehends kahler und die zackigen Bergflanken steigen in die Höhe. Nach einer Bergkuppe zeigt ein Schild den „Monte Genevris“ an und weist nur ein paar Mauerreste und zwei Kreuze auf. Der Blick wird viel mehr von den zahlreichen Höhenzügen in den Bann gezogen. Eine kleine Bergspitze wird noch vom Schnee des letzten Winters bedeckt. Über das folgende Tal schwebt ein Wolkenteppich wie aus Zuckerwatte und lässt die Gipfel herausschauen. Somit lädt es zum Pausieren ein. Jedoch macht sich Unruhe breit. Schaffen wir es wieder über die Wolken? Immer wieder stellt dieses ein besonderes Erlebnis für mich dar. So durcheilen wir vier Kehren, um den „Colle Blegier“ zu erreichen. Auch hier geizt die außergewöhnliche Bergwelt nicht mit Panoramen beiderseits der Strecke. Nun lassen wir die Räder doch ein wenig schneller laufen. Tauchen doch immer wieder Wolkenfetzen hinter den Gipfeln auf. Die Richtung scheint zu stimmen! Ein paar Kurven noch und wir fahren direkt von oben auf die Wolken zu! Riesige Freude kommt in mir auf. Einzelne helle Flecken verdichten sich, lassen aber noch den Blick in die Tiefe zu. Ein Rechtsknick noch und ein dicker weißer Teppich deckt direkt unter uns das gesamte Tal zu. Was für ein Anblick! Dieser verschlägt so einigen die Sprache. Ein Moment zum Innehalten. Nur das Klicken der Kameras durchdringt die Stille.
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Wehmütig reißen wir uns von diesem Naturschauspiel los und erreichen dann die Berghütte Casa Assietta. Eine willkommene Rast, direkt am See gelegen, wird stilvoll eingerahmt von den umliegenden Bergen. Vollkommen zufrieden genießen wir die Köstlichkeiten, um satt und erholt weiterzufahren. Nur noch ein paar Gasstöße und einige Kehren sind zu bewältigen bevor wir dann den Colle di Assietta erreichen. 2.472 Höhenmeter verkündet das braune Schild vor dem weißen Wattebausch der tief liegenden Wolkendecke. Die weitere Piste wird geprägt von Fernsichten und führt an Felswänden entlang. Dann wird in den Nebel eingetaucht. Mittels zweier enger Kehren verlieren wir immer weiter an Höhe und die Sicht schwindet. Glücklicherweise konnten wir diesen steilen Abschnitt bereits auf der vorherigen abendlichen Tour bestaunen. Im Nebel tasten wir uns weiter, bis das Eingangsportal zur Assietta uns wieder ausspuckt.
Nach diesen abenteuerlichen Tagen rückt das Ende unaufhaltsam näher. Eine letzte gemütliche Abschiedstour soll es noch werden und Frank spricht: „Fahrt ins Plane Tal! Nichts Schweres, dafür eine schöne Strecke durch die Landschaft mit Traumausblicken auf die kahlen Gipfel der Grand Queyron Gruppe! Dort müsst ihr hin!“ So erreichen wir auf der SP215 den Abzweig und müssen noch vor der Brücke zwei Euro Wegezoll entrichten. Diese Gelder dienen der Erhaltung der Strecke, versichert man uns. Im welligen Auf und Ab dringen wir immer tiefer in das Tal ein. Der Weg folgt dem Fluss Torrente Ripa und eine Handvoll Häuser zieren dessen Ufer. Die malerisch gelegenen Picknickwiesen werden intensiv als Wochenendziel genutzt. Unzählige, inmitten der Natur gelegene Rast- und Lagerplätze laden zum Verweilen ein. In Gedanken stelle ich schon mein Zelt an diesem genialen Platz auf. Ein Stück weiter werden wir ausgebremst. Links hoch oben befindet sich unser Ziel. Ein Wegweiser „Alpe de Plan“ mit dem Zusatzschild „Durchfahrt verboten“ durchkreuzt unsere Pläne. Auf der anderen Seite führt der Fahrweg weiter, jedoch entschließen wir uns, hinauf zu laufen. Nach Bewältigung der Höhenmeter bietet sich ein sensationeller Blick in das Tal zurück. Eine kleine Käserei lädt zum Genießen ein. So schauen wir uns die Kellergewölbe voller Käselaibe an, ordern eine leckere Käseplatte und nehmen genussvoll Abschied von einer unvergesslichen Endurotour.
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Übernachten
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Ein idealer Einstiegspunkt für die Touren stellt der im oberen Susa-Tal gelegene Campingplatz Gran Bosco dar. Der Dreisterneplatz bietet von der Zeltwiese bis zum Mobile-Home alle Möglichkeiten zur Übernachtung. Ein Restaurant mit Pizzeria und Bar, sowie gepflegte Sanitäranlagen machen den Campingplatz zu einem Treffpunkt der Enduristen. Eine Verständigung ist mit Max in Englisch möglich. Wir reservierten vorsorglich den Platz vorab per Mail.
Adresse: S.S.24 del Monginevro, KM75, bei Salbertrand

www.campinggranbosco.it/de

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Text: Kai Sypniewski

Fotos: Carsten Scheibe & Kai Sypniewski